Anknüpfen. Fortsetzen.
Neues bewegen.

Herr Mirring, hinter dem DJH-Landesverband Rheinland liegen drei herausfordernde Jahre. Wie blicken Sie als Geschäftsführer auf diese Zeit?

 

Oliver Mirring: Allem voran blicke ich auf eine bewegte Zeit, die von unbedingtem Zusammenhalt geprägt war. Eine Zeit, die uns von einer hervorragenden Ausgangslage mit stabilen Übernachtungsergebnissen über einer Million und einem Allzeithoch bei den Mitgliederzahlen in eine bisher nicht gekannte dramatische Krise führte. Durch die Pandemie brachen die Übernachtungen auf ein Minimum ein. Mehr noch: Wir mussten alle Investitionen stoppen und viele ambitionierte Projekte auf Eis legen, um uns in einer unglaublichen Gemeinschaftsleistung wieder aus der Krise herauszuarbeiten. Herzlichen Dank an unsere Mitglieder, denn sie haben diesem harten, aber notwendigen Kurs vertraut und ihn nach Kräften unterstützt. Die Anzahl unserer Mitglieder blieb glücklicherweise während der Pandemie nahezu konstant.

 

Bei unserem letzten Interview blickten Sie zuversichtlich auf das bevorstehende Jahr 2022. Hat sich Ihr Optimismus bewahrheitet?

 

Oliver Mirring: Ja, angesichts von 927.266 Übernachtungen bin ich vorsichtig optimistisch, schon bald an die starken Ergebnisse des Vor-Corona-Jahres 2019 anknüpfen zu können. Nachdem im März 2022 alle Reisebeschränkungen fielen, kamen unsere Gäste zurück – ein Trend, der sich bereits Ende 2021 abzeichnete. Besonders beeindruckend war das „Comeback“ der Schulen. Nach all den Lockdowns und Schulschließungen haben sie unsere außerschulischen Erlebnisprogramme verstärkt nachgefragt, um Lernrückstände zu reduzieren und die so dringend benötigten Gemeinschaftserlebnisse nachzuholen. Das machen die aktuellen Ergebnisse sehr gut deutlich: 388.524 Übernachtungen, also mehr als 40%, gehen auf die Grund- und weiterführenden Schulen zurück. Auch im Freizeitsektor zeigte sich, wie unbedingt notwendig nachhaltige Gemeinschaftserlebnisse und pädagogische Programme nach der Pandemie waren. Neben den rund 50 eigenen Erlebnisreisen für Kinder, Jugendliche und Familien haben wir in zehn Jugendherbergen für insgesamt 3.940 Gäste zusätzliche erlebnispädagogische Familien- und Kinderfreizeiten im Rahmen des Förderprogramms „Aufholen nach Corona“ veranstalten können. Das qualifizierte Aktionsprogramm fand in Kooperation mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend statt und richtete sich an Gäste, die ohne eine Förderung an dem Programm nicht hätten teilnehmen können. 89% der Teilnehmenden gaben ein positives Feedback und meinten: „Wir würden gerne wieder Urlaub in einer Jugendherberge machen.“

 

Auf Corona folgte 2022 der Ukraine-Krieg. Welche neuen Aufgaben kamen damit auf die Jugendherbergen im Rheinland zu?

 

Oliver Mirring: Angesichts des unfassbaren Leids durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine sind wir unserem gesellschaftlichen Auftrag gefolgt und haben Behörden und Kommunen umgehend Hilfe angeboten. Dank einer Kooperation mit den Bezirksregierungen Düsseldorf und Köln, später dann mit der Stadt Wuppertal, ist seit Ausbruch des Krieges zum Beispiel ein Kinderheim aus Kiew mit seinen Betreuenden in der Jugendherberge Wuppertal beheimatet. Auch in der Jugendherberge Duisburg Landschaftspark konnten wir schnell unterstützen: Dort kamen für vier Wochen THW-Mitarbeitende unter, die in der benachbarten Kraftzentrale Kriegsflüchtlinge betreuten. In Köln setzten wir die bestehende Kooperation zwischen der Jugendherberge Pathpoint Cologne und dem Verein „Helping Hands“ für Obdachlose bis nach dem Winter fort – um das Haus anschließend ebenso temporär an die Stadt Köln für ukrainische Geflüchtete zu übergeben.

 

2022 war ein turbulentes Jahr für Energiepreise. Drohende Mangellagen, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, hatten enorme Preissteigerungen von Strom und Gas zur Folge. Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?

 

Oliver Mirring: Als direkte Reaktion auf die steigenden Energiepreise setzten wir in den Häusern ad hoc viele nichtinvestive und geringinvestive Maßnahmen zum Energiesparen um. Das heißt, dass wir nochmals mit offenen Augen, Sinn und Verstand durch unsere Jugendherbergen gelaufen sind und überprüft haben, wo wir beispielsweise Energiesparlampen oder andere große „Energieverbraucher“ austauschen oder eliminieren können. Für die kommenden Jahre werden wir weitere Maßnahmen zur Ressourceneinsparung und effizienteren Energienutzung fortführen, die während der Pandemie nicht realisierbar waren. Ein neuer Mitarbeiter wird zum Beispiel ab März 2023 unsere Expertise zu regenerativen Energien verstärken. In der Jugendherberge Simmerath-Rurberg startete 2022 zudem ein energetisches Pilotprojekt, das hoffentlich auf viele Jugendherbergen übertragbar sein wird. Und auch in den Büros der Geschäftsstelle hat sich einiges getan: Dank neuer Hard- und Software arbeiten wir mobiler, Dienstreisen und Konferenzen in Präsenz bleiben auf ein Minimum reduziert. All das schafft mehr Flexibilität und spart Zeit, Kosten und Energie. Das Klima durch Co2-Reduktion zu schützen und auf nachhaltige Energieträger umzusteigen, sind also nicht erst seit Ausbruch des Krieges notwendige Aufgaben, denen wir uns stellen: Mein Ziel ist es, den DJH-Landesverband Rheinland in den kommenden Jahren in die Klimaneutralität zu führen. An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass Natur- und Umweltschutz seit über 100 Jahren in unserer Satzung festgeschrieben sind.

 

Eine Organisation insgesamt nachhaltig aufzustellen impliziert auch ein nachhaltiges Personalmanagement. Welche Dimensionen hat dieses Thema für den DJH-Landesverband Rheinland als Arbeitgeber?

 

Oliver Mirring: Während meiner Amtszeit hat es beispielsweise in 10 von 33 Jugendherbergen einen Leitungswechsel gegeben, der einem Generationenwechsel gleichkommt. In den meisten Fällen verabschiedeten wir langjährige Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand, denen neues Führungspersonal nachfolgte – darunter erfreulicherweise junge Mitarbeitende aus den eigenen Reihen.

Neues Personal zu finden – da geht es uns wie der gesamten Branche – bleibt nach wie vor ein längerfristiges Thema. Durch Corona wechselten zahlreiche Mitarbeitende den Arbeitsplatz, sodass wir im Service weiterhin Engpässe haben. Erfolge im Recruiting erzielen wir hier mit unserem digitalen Karriereportal, das sehr gut eingeführt und positioniert ist. Ein Team arbeitet zudem daran, die Vorteile des „Arbeitsplatz Jugendherberge“ noch offensiver zu kommunizieren. Untrennbar dazu gehört auch die Wertekommunikation. Gerade für junge Menschen auf der Suche nach einer sinnstiftenden Arbeit sehe ich darin für die Jugendherbergen als Arbeitgeber einen klaren Vorteil.

Hinzu kommt, dass der Integrations- und Inklusionsauftrag der Jugendherbergen auch für das Personalwesen gilt. Schon lange ist Inklusion – im Übrigen auch seit langen Jahren ein Satzungsauftrag unseres Vereins – am Arbeitsplatz für uns selbstverständlich. Dazu kooperieren wir etwa mit Dienstleistern wie „Projekt Router gGmbH“. Neu ist seit 2022 ein Modellprojekt in Kooperation mit „mittendrin e.V.“. Der Verein setzt sich für die Integration junger Menschen mit geistiger Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt ein. Das Pilotprojekt startete in der Jugendherberge Köln-Riehl und wird vom Land NRW und der EU gefördert, um später bundesweit Schule zu machen.

Neu ist ebenfalls eine Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz als größtem Träger für Freiwilligendienste in Deutschland. Mit Hilfe der Agentur „FreiWerk“ werden erstmals in acht Jugendherbergen junge Menschen eingesetzt, die uns im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahrs im Herbergsalltag ihren Interessen entsprechend unterstützen, um neue Kompetenzen zu erlangen.

 

Trotz aller Unwägbarkeiten deutet vieles darauf hin, dass sich die Reisebranche erholt. Welche Chancen sehen Sie für den DJH-Landesverband Rheinland?

 

Oliver Mirring: Reiseanalysen zeigen, dass Urlaub für die Menschen in Deutschland wieder hohe Priorität hat. Insgesamt werden sie kostenbewusster reisen und ihre Ausgaben hinterfragen, sodass preiswerte Ferienunterkünfte profitieren, während kostspielige Kurzurlaube sowie Flugreisen auf den Prüfstand kommen. Deutschland ist und bleibt deshalb als nahe gelegenes Reiseziel beliebt. Davon profitiert auch das Reiseland NRW, das sich jüngsten Analysen zufolge deutlich im Aufwind befindet. Für uns heißt das, die vielen zukunftsweisenden Konzepte, Pläne und verbandsinternen Strategien, die wir während der Pandemie zurückstellen mussten, wieder aufzunehmen, zu relaunchen und möglichst schnell und konsequent umzusetzen. Sie sind in jeder Hinsicht ein solides Fundament für die folgende „Langstrecke“.