Vorwort Ludwig B. Lühl

Vorwort

Es geht bergauf – nach zwei herausfordernden Jahren endeten im Frühjahr 2022 die touristischen Corona-Restriktionen und wir konnten endlich unserem Bildungsauftrag wieder vollumfänglich nachkommen. Dies ist wohl die beste Nachricht aus dem Geschäftsjahr 2022. Dahinter steht eine einmalige Gemeinschaftsleistung von Vorstand, Geschäftsführung und Mitarbeitenden. Sie war geprägt von der unbedingten Überzeugung, diese Krise zusammen meistern zu können, gestützt durch Bund und Land NRW, die uns nach Kräften beigestanden haben. Heute zeigt sich, dass sich unser Krisenmanagement, ein umsichtiger Finanzkurs und die schlüssigen Hygienekonzepte gelohnt haben: Mit 927.266 Übernachtungen stehen wir gegenüber dem starken Vor-Corona-Jahr 2019 sehr gut da. Trotz einem Minus von rund 76.000 Übernachtungen dürfen wir auf dieses Ergebnis alle zusammen sehr stolz sein.

 

Endlich hatten wir 2022 auch Gelegenheit, zwei wichtige Termine „nachholen“ zu können: 2021 mussten die Feierlichkeiten der DJH-Landesverbände Rheinland und Westfalen-Lippe anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums ausfallen. Umso mehr freuten wir uns, mit den Kolleg*innen aus Westfalen-Lippe am 29. September im Düsseldorfer Landtag einen gemeinsamen Parlamentarischen Abend mit rund 100 Gästen ausrichten zu können.

 

Erst war es Corona, dann die Jahrhundertflut und zuletzt eine starke Buchungsnachfrage, die eine gebührende Eröffnungsfeier der Jugendherberge Gemünd Vogelsang nicht zuließen. Am 23. Oktober 2022 war es endlich so weit: Mit zahlreichen geladenen Gästen haben wir an einem schönen Herbsttag die Jugendherberge offiziell wiedereröffnet. Der Feierstunde folgte ein bunter „Tag der offenen Tür“, den viele Besucherinnen und Besucher aus der Eifelregion nutzten, um die Jugendherberge und ihre Partner kennenzulernen.

 

Gemeinsam holen wir auf

Alle sind sich darüber einig, dass Gemeinschaftserlebnisse vor allem bei Kindern in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind. Umso erfreulicher, dass wir im dritten Corona-Jahr einen starken Nachholbedarf an Erlebnisreisen, Familienfreizeiten und Klassenfahrten wahrnehmen konnten. Wir freuen uns darüber, dass unsere Gäste schnell und zahlreich zurückkehrten. So viel Freude war lange nicht in unseren Jugendherbergen! Überall war spürbar, wie sehr den Kindern und Jugendlichen die außerschulischen Lernerlebnisse in der Gruppe gefehlt hatten. Gleiches galt für die Familien und Kinder, die im Rahmen des vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Programms „Aufholen nach Corona“ zu uns kamen. 51 erlebnispädagogische Familien- und 8 Kinderfreizeiten konnten wir insgesamt veranstalten. Für den DJH-Landesverband Rheinland war es selbstverständlich, hier zu kooperieren, denn die Angebote richteten sich ausschließlich an Personen, die eine Teilnahme ohne Förderung nicht hätten finanzieren können.

 

Wir leben soziale Verantwortung

Neben der Corona-Pandemie sorgte der Krieg in der Ukraine in den Kommunen für erhöhten Hilfsbedarf bei vulnerablen Gruppen. Schnell und unkompliziert konnten wir im Sinne des Gemeinwohls dringend benötigte Unterkünfte bereitstellen: Die JH Wuppertal nahm direkt nach Kriegsausbruch die Kinder eines Kiewer Waisenhauses sowie ihre Betreuenden auf. Die Jugendherberge Pathpoint Cologne setzte ihre Hilfe für Obdachlose fort und bot darüber hinaus auch ukrainischen Geflüchteten ein temporäres Zuhause. Die JH Duisburg Landschaftspark beherbergte THW-Mitarbeitende, die im Landschaftspark Duisburg Nord ukrainische Kriegsflüchtlinge versorgten. Die Zusammenarbeit und Absprachen mit Kommunen und Bezirksregierung haben sich in allen drei Fällen wieder als sehr kooperativ und konstruktiv herausgestellt.

 

Wir werden digitaler

Erstmals erreicht Sie mein Vorwort zum Jahresbericht nun als Blog-Beitrag. Als zeitgemäßes digitales Format wird er fortan die Print-Fassung ersetzen und Sie als Leser*innen überall und jederzeit erreichen können. Das neue Format macht es möglich, dass ich von Zeit zu Zeit Highlights und Neuigkeiten aus dem Verbandsleben mit Ihnen teilen kann. Freuen Sie sich auf dieses „Mehr“ an Möglichkeiten.

 

Wir bleiben „auf Kurs“

Abschließend möchte ich mich beim ehrenamtlichen Vorstand, unserem Geschäftsführer sowie den Mitarbeitenden des DJH-Landesverbands Rheinland aus vollem Herzen bedanken. Sie alle versammelten sich trotz Einschränkungen und Engpässen im Personalbereich stets bedingungslos hinter den Zielen des Verbandes und hielten ihn auch 2022 in einer loyalen Gemeinschaftsleistung „auf Kurs“.

 

Herzlich, Ihr

Ludwig B. Lühl
Vorsitzender des Vorstands

Interview mit Oliver Mirring

Anknüpfen. Fortsetzen.
Neues bewegen.

Herr Mirring, hinter dem DJH-Landesverband Rheinland liegen drei herausfordernde Jahre. Wie blicken Sie als Geschäftsführer auf diese Zeit?

 

Oliver Mirring: Allem voran blicke ich auf eine bewegte Zeit, die von unbedingtem Zusammenhalt geprägt war. Eine Zeit, die uns von einer hervorragenden Ausgangslage mit stabilen Übernachtungsergebnissen über einer Million und einem Allzeithoch bei den Mitgliederzahlen in eine bisher nicht gekannte dramatische Krise führte. Durch die Pandemie brachen die Übernachtungen auf ein Minimum ein. Mehr noch: Wir mussten alle Investitionen stoppen und viele ambitionierte Projekte auf Eis legen, um uns in einer unglaublichen Gemeinschaftsleistung wieder aus der Krise herauszuarbeiten. Herzlichen Dank an unsere Mitglieder, denn sie haben diesem harten, aber notwendigen Kurs vertraut und ihn nach Kräften unterstützt. Die Anzahl unserer Mitglieder blieb glücklicherweise während der Pandemie nahezu konstant.

 

Bei unserem letzten Interview blickten Sie zuversichtlich auf das bevorstehende Jahr 2022. Hat sich Ihr Optimismus bewahrheitet?

 

Oliver Mirring: Ja, angesichts von 927.266 Übernachtungen bin ich vorsichtig optimistisch, schon bald an die starken Ergebnisse des Vor-Corona-Jahres 2019 anknüpfen zu können. Nachdem im März 2022 alle Reisebeschränkungen fielen, kamen unsere Gäste zurück – ein Trend, der sich bereits Ende 2021 abzeichnete. Besonders beeindruckend war das „Comeback“ der Schulen. Nach all den Lockdowns und Schulschließungen haben sie unsere außerschulischen Erlebnisprogramme verstärkt nachgefragt, um Lernrückstände zu reduzieren und die so dringend benötigten Gemeinschaftserlebnisse nachzuholen. Das machen die aktuellen Ergebnisse sehr gut deutlich: 388.524 Übernachtungen, also mehr als 40%, gehen auf die Grund- und weiterführenden Schulen zurück. Auch im Freizeitsektor zeigte sich, wie unbedingt notwendig nachhaltige Gemeinschaftserlebnisse und pädagogische Programme nach der Pandemie waren. Neben den rund 50 eigenen Erlebnisreisen für Kinder, Jugendliche und Familien haben wir in zehn Jugendherbergen für insgesamt 3.940 Gäste zusätzliche erlebnispädagogische Familien- und Kinderfreizeiten im Rahmen des Förderprogramms „Aufholen nach Corona“ veranstalten können. Das qualifizierte Aktionsprogramm fand in Kooperation mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend statt und richtete sich an Gäste, die ohne eine Förderung an dem Programm nicht hätten teilnehmen können. 89% der Teilnehmenden gaben ein positives Feedback und meinten: „Wir würden gerne wieder Urlaub in einer Jugendherberge machen.“

 

Auf Corona folgte 2022 der Ukraine-Krieg. Welche neuen Aufgaben kamen damit auf die Jugendherbergen im Rheinland zu?

 

Oliver Mirring: Angesichts des unfassbaren Leids durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine sind wir unserem gesellschaftlichen Auftrag gefolgt und haben Behörden und Kommunen umgehend Hilfe angeboten. Dank einer Kooperation mit den Bezirksregierungen Düsseldorf und Köln, später dann mit der Stadt Wuppertal, ist seit Ausbruch des Krieges zum Beispiel ein Kinderheim aus Kiew mit seinen Betreuenden in der Jugendherberge Wuppertal beheimatet. Auch in der Jugendherberge Duisburg Landschaftspark konnten wir schnell unterstützen: Dort kamen für vier Wochen THW-Mitarbeitende unter, die in der benachbarten Kraftzentrale Kriegsflüchtlinge betreuten. In Köln setzten wir die bestehende Kooperation zwischen der Jugendherberge Pathpoint Cologne und dem Verein „Helping Hands“ für Obdachlose bis nach dem Winter fort – um das Haus anschließend ebenso temporär an die Stadt Köln für ukrainische Geflüchtete zu übergeben.

 

2022 war ein turbulentes Jahr für Energiepreise. Drohende Mangellagen, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, hatten enorme Preissteigerungen von Strom und Gas zur Folge. Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?

 

Oliver Mirring: Als direkte Reaktion auf die steigenden Energiepreise setzten wir in den Häusern ad hoc viele nichtinvestive und geringinvestive Maßnahmen zum Energiesparen um. Das heißt, dass wir nochmals mit offenen Augen, Sinn und Verstand durch unsere Jugendherbergen gelaufen sind und überprüft haben, wo wir beispielsweise Energiesparlampen oder andere große „Energieverbraucher“ austauschen oder eliminieren können. Für die kommenden Jahre werden wir weitere Maßnahmen zur Ressourceneinsparung und effizienteren Energienutzung fortführen, die während der Pandemie nicht realisierbar waren. Ein neuer Mitarbeiter wird zum Beispiel ab März 2023 unsere Expertise zu regenerativen Energien verstärken. In der Jugendherberge Simmerath-Rurberg startete 2022 zudem ein energetisches Pilotprojekt, das hoffentlich auf viele Jugendherbergen übertragbar sein wird. Und auch in den Büros der Geschäftsstelle hat sich einiges getan: Dank neuer Hard- und Software arbeiten wir mobiler, Dienstreisen und Konferenzen in Präsenz bleiben auf ein Minimum reduziert. All das schafft mehr Flexibilität und spart Zeit, Kosten und Energie. Das Klima durch Co2-Reduktion zu schützen und auf nachhaltige Energieträger umzusteigen, sind also nicht erst seit Ausbruch des Krieges notwendige Aufgaben, denen wir uns stellen: Mein Ziel ist es, den DJH-Landesverband Rheinland in den kommenden Jahren in die Klimaneutralität zu führen. An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass Natur- und Umweltschutz seit über 100 Jahren in unserer Satzung festgeschrieben sind.

 

Eine Organisation insgesamt nachhaltig aufzustellen impliziert auch ein nachhaltiges Personalmanagement. Welche Dimensionen hat dieses Thema für den DJH-Landesverband Rheinland als Arbeitgeber?

 

Oliver Mirring: Während meiner Amtszeit hat es beispielsweise in 10 von 33 Jugendherbergen einen Leitungswechsel gegeben, der einem Generationenwechsel gleichkommt. In den meisten Fällen verabschiedeten wir langjährige Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand, denen neues Führungspersonal nachfolgte – darunter erfreulicherweise junge Mitarbeitende aus den eigenen Reihen.

Neues Personal zu finden – da geht es uns wie der gesamten Branche – bleibt nach wie vor ein längerfristiges Thema. Durch Corona wechselten zahlreiche Mitarbeitende den Arbeitsplatz, sodass wir im Service weiterhin Engpässe haben. Erfolge im Recruiting erzielen wir hier mit unserem digitalen Karriereportal, das sehr gut eingeführt und positioniert ist. Ein Team arbeitet zudem daran, die Vorteile des „Arbeitsplatz Jugendherberge“ noch offensiver zu kommunizieren. Untrennbar dazu gehört auch die Wertekommunikation. Gerade für junge Menschen auf der Suche nach einer sinnstiftenden Arbeit sehe ich darin für die Jugendherbergen als Arbeitgeber einen klaren Vorteil.

Hinzu kommt, dass der Integrations- und Inklusionsauftrag der Jugendherbergen auch für das Personalwesen gilt. Schon lange ist Inklusion – im Übrigen auch seit langen Jahren ein Satzungsauftrag unseres Vereins – am Arbeitsplatz für uns selbstverständlich. Dazu kooperieren wir etwa mit Dienstleistern wie „Projekt Router gGmbH“. Neu ist seit 2022 ein Modellprojekt in Kooperation mit „mittendrin e.V.“. Der Verein setzt sich für die Integration junger Menschen mit geistiger Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt ein. Das Pilotprojekt startete in der Jugendherberge Köln-Riehl und wird vom Land NRW und der EU gefördert, um später bundesweit Schule zu machen.

Neu ist ebenfalls eine Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz als größtem Träger für Freiwilligendienste in Deutschland. Mit Hilfe der Agentur „FreiWerk“ werden erstmals in acht Jugendherbergen junge Menschen eingesetzt, die uns im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahrs im Herbergsalltag ihren Interessen entsprechend unterstützen, um neue Kompetenzen zu erlangen.

 

Trotz aller Unwägbarkeiten deutet vieles darauf hin, dass sich die Reisebranche erholt. Welche Chancen sehen Sie für den DJH-Landesverband Rheinland?

 

Oliver Mirring: Reiseanalysen zeigen, dass Urlaub für die Menschen in Deutschland wieder hohe Priorität hat. Insgesamt werden sie kostenbewusster reisen und ihre Ausgaben hinterfragen, sodass preiswerte Ferienunterkünfte profitieren, während kostspielige Kurzurlaube sowie Flugreisen auf den Prüfstand kommen. Deutschland ist und bleibt deshalb als nahe gelegenes Reiseziel beliebt. Davon profitiert auch das Reiseland NRW, das sich jüngsten Analysen zufolge deutlich im Aufwind befindet. Für uns heißt das, die vielen zukunftsweisenden Konzepte, Pläne und verbandsinternen Strategien, die wir während der Pandemie zurückstellen mussten, wieder aufzunehmen, zu relaunchen und möglichst schnell und konsequent umzusetzen. Sie sind in jeder Hinsicht ein solides Fundament für die folgende „Langstrecke“.